Die Gefahr des Mitläufertums: Wer heute schweigt, bereut morgen
Nach den Geschehnissen im Bundestag vorletzte Woche ist viel von „Tabubruch“ oder „Sündenfall“ die Rede. Sogar vom „Tor zur Hölle“ wurde gesprochen. In deutschen Städten gingen Hunderttausende zu einem „Aufstand der Anständigen“ auf die Straße.
Doch wogegen wird da gewettert und demonstriert? Droht etwa eine Diktatur? Nein, im Gegenteil. Es „droht“ die Umsetzung des Wählerwillens. Denn darin, die Zuwanderung begrenzen zu wollen, stimmt Friedrich Merz mit der großen Mehrheit der Bevölkerung überein. 68 Prozent sind der Meinung, Deutschland sollte weniger Flüchtlinge aufnehmen als bisher (ARD-Deutschland-Trend).
Dafür, Menschen ohne gültige Einreisepapiere an den Grenzen grundsätzlich zurückzuweisen - auch wenn sie in Deutschland einen Asylantrag stellen wollen - sprechen sich 57 Prozent aus. Selbst unter SPD-Anhängern sind es 52 Prozent.
Warum dominieren die Gegner dieser Positionen derart die Diskussion? Warum gehen die Befürworter der Merz’schen Linie nicht auf die Straße? Warum überlässt die Mehrheit einer kleinen, aber dafür umso lauteren Minderheit die öffentliche Bühne?
Das Gesetz der Straße
Ich bin ständig mit Unternehmern, Führungskräften und engagierten Mitarbeitern in Kontakt. Meine Umfrage ist sicherlich nicht repräsentativ. Aber die Ergebnisse bringen mich dennoch zum Nachdenken. Denn in allen Gesprächen zeichnet sich ein ähnliches Bild ab.
Die Zukunft Deutschlands sehen die von mir befragten Leistungsträger negativ. Auf meine Frage, ob sie ihre Haltung zu den Missständen öffentlich äußern, kam unisono die gleiche Antwort: auf gar keinen Fall. Dabei stehen die Einzelpersonen mit ihrer Haltung – wie beim Thema Migration, siehe oben – alles andere als allein da. Warum halten sie sich trotzdem so zurück?
In meiner Arbeit als Berater dreht sich viel um die zwischenmenschliche Interaktion. Dabei ist eine spannende Frage: Wer wird sich wohl im Diskurs durchsetzen? Die Antwort ist immer die gleiche: Der Dominantere setzt sich durch. Es ist das Gesetz der Straße, dass auch in den Konferenzräumen und erst recht in unserer Gesellschaft gilt. Man könnte es auch als „Faustrecht“ bezeichnen.
Schweigespirale
Wenn also die Anhänger einer Minderheitsmeinung nicht nur laut, sondern auch dominant-aggressiv auftreten, können sie die öffentliche Meinung prägen. Denn die Folge dieser aggressiven Lautstärke ist: Je mehr Ihre persönliche Meinung von dieser vermeintlich öffentlichen Meinung abweicht, desto größer ist wahrscheinlich Ihre Hemmung, diese auch zu äußern.
Das ist dann die sog. „Schweigespirale“. Der Begriff geht auf eine Theorie der Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann aus den den 1970er-Jahren zurück: Widerspricht meine eigene Meinung der von mir als vorherrschend eingeschätzten Meinung, habe ich Hemmungen, sie zu äußern. Und zwar umso stärker, je ausgeprägter der Gegensatz wird – daher das Bild der Spirale.
Befinden wir uns in einer Schweigespirale? Ich fürchte ja! Ein links-aggressiver Sprachton beherrscht die mediale Öffentlichkeit. Es entsteht der Eindruck: Ich bin allein mit meiner Meinung – und so verstärkt sich mein Schweigen. Und das, obwohl ich mit meiner Haltung gar nicht in der Minderheit bin. Und erst recht nicht allein.
Beunruhigendes Experiment
Sie glauben, das sei Quatsch? So leicht ließen sich Menschen doch nicht beeinflussen und zum Schweigen bringen? Oder gar zu Verhaltensweisen, die sie eigentlich gar nicht gut finden? Es geht leider schneller, als wir es uns erhoffen. Im ZDF gab es eine Dokumentation unter dem Titel „Der Rassist in uns“. Freiwillige wurden zu einem Experiment eingeladen. Worum es genau ging, wussten sie nicht.
Am Veranstaltungsort wurden sie von einer Autorität, dem Leiter der Veranstaltung, begrüßt. Dieser behandelte die Teilnehmer unterschiedlich – und zwar abhängig von ihrer Augenfarbe. Zu den Braunäugigen war er nett und zuvorkommend; zu den Blauäugigen schroff und demütigend. Er beinflusste die gesamte Gruppe so sehr, dass am Schluss klar war: Blauäugige sind dümmer als Braunäugige.
Als ich die Sendung gesehen habe, ging mir das echt übel unter die Haut. Wie schnell es durch gezielte Beeinflussung und gruppendynamische Prozesse gelingen kann, Braunäugige zu Tätern und Blauäugige zu Opfern zu machen. Das Experiment erinnert an das Stanford-Prison-Experiment, das in Filmen wie „Das Experiment“ oder „Die Welle“ inszeniert wurde.
Kritische Stimmen werden diskreditiert
Die Anlässe, um ausgegrenzt zu werden, explodieren förmlich in unserer Gesellschaft: Corona, Klima, Ukraine, Energie, Migration … In immer mehr Fragen und gesellschaftlichen Herausforderungen lauert sozialer Sprengstoff. Es bilden sich Gruppierungen, die schnell für sich in Anspruch nehmen, die eine, vermeintlich richtige Wahrheit zu kennen.
Wer dann dagegen ist – oder auch nur kritische Fragen stellt –, wird sofort in die radikalen Ecken gedrängt. Spannend ist, dass dazu ein Begriff verwendet wird, der für mich eigentlich nur im Zusammenhang mit dem schlimmsten Menscheitsverbrechen, dem Holocaust, steht: Leugner.
Im Gegensatz zu den heutigen Herausforderungen ist beim Holocaust nur eine Wahrheit richtig: nämlich, dass dieses Verbrechen verstörend und menschenverachtend ist und sich niemals wiederholen darf. Insofern ist es korrekt, dass jeder, der sich im Kopf zurechtspinnt, dass es den Holocaust nicht gegeben habe, als Holocaust-Leugner bezeichnet wird.
Doch der Begriff „Leugner“ wird heute auch auf die anderen genannten Themenfelder übertragen: Klima-Leugner. Corona-Leugner. Gender-Leugner. Und das, obwohl es hier durchaus berechtigte, unterschiedliche Sichtweisen und Perspektiven gibt. Damit werden die kritischen Stimmen in unserer Gesellschaft sofort diskreditiert und auf ein soziales Level degradiert, auf dem niemand landen will.
Beim Thema Migration wird der Begriff bisher nicht verwendet. Vielleicht liegt das daran, dass in Wahrheit diejenigen, die Merz‘ Aktion jetzt kritisieren, Leugner sind: Sie leugnen die massiven Probleme der unkontrollierten Massenmigration für unser Land.
Wir müssen nicht gleich denken
Ich halte diese Tendenzen für gefährlich, denn sie rütteln am Fundament unserer Gesellschaft: der freien Meinungsäußerung. Eine Demokratie braucht den Diskurs genauso wie die Wissenschaft.
Das scheinen die extremistischen Kleingruppen anders zu sehen. Diese sind der Meinung, dass Sie als Person zur Gefahr werden, sollten Sie eine vermeintliche Gefahr (Klima, Gender, Corona …) auch nur in Frage stellen – so wie es Friedrich Merz jetzt gemacht hat. Der Anspruch der Fanatiker ist: Alle müssen gleich denken.
Um es deutlich zu sagen: Nein! Wir müssen nicht gleich denken. Im Gegenteil. Wir müssen es aushalten, dass wir unterschiedlich denken. Anscheinend müssen wir es als demokratische Gesellschaft lernen, mit unterschiedlichen Meinungen umzugehen.
In Unternehmen strebe ich danach, mit den Menschen die intelligente Kooperation untereinander zu optimieren. Das funktioniert, da Unternehmen begrenzte soziale Strukturen sind; Zweckgemeinschaften, die ihre eigenen Spielregeln festlegen, denen sich Menschen freiwillig anschließen können. Wer keine Lust hat auf die Art, wie ein Laden tickt, kann sich einfach dort einen Job suchen, wo er sich besser aufgehoben fühlt.
Leben und leben lassen
In unserer Gesellschaft ist intelligente Kooperation sicherlich auch ein erstrebenswerter Zustand. Ich halte ihn jedoch für etwas illusorisch. Eine Utopie, von der wir sicherlich träumen können und nach ihr streben. Doch damit aus diesem Traum auch nur ansatzweise eine gelebte Realität werden kann, müssen wir erstmal dem Mindestanspruch unseres Zusammenlebens gerecht werden.
Und das ist für mich: friedliche Koexistenz. Leben und leben lassen. Wie das gelingen kann? Bestimmt nicht dadurch, dass Menschen ihre Meinungen zurückhalten – aus Sorge davor, an den Pranger gestellt zu werden. Egal, ob sie mit Ihrer Meinung allein dastehen, einer Minderheit oder der Mehrheit angehören, oder sich im Taumel einer Schweigespirale allein fühlen, es jedoch gar nicht sind.
Wir brauchen ein zwischenmenschliches Fundament, auf dem unsere Gesellschaft auch in Zukunft bestehen, auf dem Ordnung entstehen kann. Die Alternative wäre Chaos und Anarchie. Auf diesem Humus einer kollabierten Gesellschaft wächst zwar auch etwas Neues. Aber der Weg dorthin ist sicherlich schmerzhafter als eine freiwillige Lernkurve.
Wer schweigt, verrät sich selbst
Hinterfragen Sie kritisch Ihre eigenen Gedanken und Ihr persönliches Verhalten: Wie stehen Sie zu den diversen Themen, die unsere Gesellschaft aktuell umtreiben? Haben Sie eine eigene Meinung? Oder nehmen Sie einfach nur die Meinung der vermeintlichen “Mehrheit” an, um nicht anzuecken?
Wer schweigt, obwohl er das Unheil aufkommen sieht, trägt nicht nur dazu bei, dass das Unheil zur schmerzhaften Realität wird. Wer schweigt, obwohl er lieber den Mund aufmachen würde, verrät sich selbst – und wird es eines Tages bitter bereuen.
Das Mindeste, was Sie tun können, um Ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen: Gehen Sie am 23. Februar wählen. Bei der Bundestagswahl wird sich die Mehrheitsmeinung zu vielen kontroversen Themen zeigen. Und der nächste Bundestag hat dann die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, den Willen der Mehrheit umzusetzen!